Die Poesie der Primzahlen by Daniel Tammet

Die Poesie der Primzahlen by Daniel Tammet

Autor:Daniel Tammet
Die sprache: deu
Format: mobi, azw3, epub
ISBN: 9783446439276
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2014-05-03T22:00:00+00:00


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Einsteins Gleichungen

Hans Albert Einstein sagte einmal über seinen weltberühmten Vater: »Er hatte eigentlich mehr den Charakter eines Künstlers als den eines Wissenschaftlers, wie man sie sich vorstellt. Das höchste Lob zum Beispiel, das er einer guten Theorie oder einer guten Arbeit spendete, war nicht, sie sei korrekt oder exakt, sondern, sie sei schön.« Auch viele andere Freunde Einsteins berichten von diesem Primat des Ästhetischen, darunter auch der Physiker Hermann Bondi. Als dieser Einstein Teile seiner Arbeit zur vereinheitlichten Feldtheorie vorstellte, kommentierte Einstein sie mit: »Ach, wie hässlich.«

Es ist ein hoffnungsloses Unterfangen, für Mathematiker typische Eigenschaften zu finden. Einsteins berühmte Vorliebe für das Schöne ist eine seltene Ausnahme. Ob groß oder klein, extro- oder introvertiert, Bücherwürmer oder Bücherverbrenner, polyglott oder einsilbig, unmusikalisch oder musikbegeistert, fromm oder ungläubig, Einsiedler oder Aktivist – alle würden dem ungarischen Mathematiker Paul Erdös zustimmen, der gesagt hat: »Ich weiß, dass Zahlen etwas Schönes sind. Wenn sie nicht schön sind, dann ist gar nichts schön.«

Einstein war zwar Physiker, aber seine Gleichungen interessierten und inspirierten auch viele Mathematiker, die ihn verehrten. Seine Relativitätstheorie lobten sie aufgrund ihrer Kombination von großer Eleganz und Kürze. In einer Handvoll umfassender Formeln, die jedem Symbol und jeder Zahl ihr vollkommenes Gewicht geben, wurden Raum und Zeit durch Newton neu geformt.

Populärwissenschaftliche Bücher zur Mathematik setzen auf erzählende Darstellungen mathematischer Beweise, um deren Schönheit begreiflich zu machen. Ich frage mich manchmal, ob das nicht ein Fehler ist, weil man als Laie an den Formeln eines Euklid oder Einstein doch eher ihre Genialität als ihre Schönheit bestaunt. Sie beeindrucken uns, ohne uns wirklich zu berühren.

Die Barriere vor der Wahrnehmung mathematischer Schönheit ist allerdings nicht unüberwindlich. Ich würde ein indirektes Herangehen empfehlen. Mein Vorschlag ist intuitiv und vermeidet die fachliche Präzision des Theoretikers. Die Schönheit, wie Mathematiker sie bewundern, kann auch im Alltäglichen erlebt werden: durch Spiele, Musik und Magie.

Nehmen wir nur das Kricketspiel, eine große Inspirationsquelle für den großen Zahlentheoretiker G. H. Hardy, Autor von A Mathematician’s Apology (»Rechtfertigung eines Mathematikers«), der jeden Morgen beim Frühstück die Zeitung nach Kricketergebnissen durchsuchte. Am Nachmittag, nach einigen Stunden am Schreibtisch, faltete er seine Formeln zusammen und trug sie wohlverstaut in seinen Taschen (falls es regnete) zum örtlichen Kricketplatz. Unter seinen Papieren fand sich auch nachfolgende Aufstellung seines »Dreamteams«, der idealen Kricketmannschaft:

Hobbs

Archimedes

Shakespeare

M Angelo

Napoleon (Kapitän)

H Ford

Plato

Beethoven

Johnson (Jack)

Christus (J)

Kleopatra

Als Zuschauer fand Hardy im Kricket dieselbe »nutzlose Schönheit« wie in seinen Formeln. Mit »nutzlos« meinte er dabei, dass beide um ihrer selbst willen betrieben wurden und keine Anwendung auf etwas anderes brauchten. Oft stand er auch selbst am Wicket, umgeben von den Feldspielern der gegnerischen Mannschaft, und sah den dunkelroten Lederball anschwellen, als er auf seinen Schläger zuflog. Beide Erlebnisse schienen seine mathematischen Antennen für Ordnung, Muster und Proportionen zu sensibilisieren.

Ein gut gespieltes, flüssiges Kricketmatch kann dasselbe Harmoniegefühl hervorrufen, wie wir es beim Musikhören erleben. Die Spannung steigt und fällt wie Gezeiten, wie die Noten in einem Lied. Auf dem Kricketfeld oder in der Konzerthalle vergeht die Zeit anders als sonst. Ein fünftägiges Match kann die Umrisse seiner Stunden lockern oder fester anziehen, und jedes Musikstück trägt ein eigenes Zeitmaß in der Struktur seiner Noten in sich.



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